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„Liebe hilft gegen Gewalt“ – Professor Christian Pfeiffer im Rahmen des „Salonfestival“ zu Gast bei der Waage Hannover

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Erziehung und Partnerschaft ohne Gewalt: Familien in Deutschland sind diesem Ideal deutlich näher gekommen. „Seit knapp zwei Jahrzehnten beobachten wir einen starken Rückgang häuslicher Gewalt“, sagte Professor Christian Pfeiffer jetzt beim Salonfestival in der Waage. Dies betreffe sowohl die körperliche als auch die sexuelle Gewalt, in beiden Bereichen seien jedoch nach wie vor Kinder und Frauen die Hauptopfer. Der Kriminologe sprach im Rahmen der bundesweiten Reihe „Salonfestival“, Gastgeber war die Waage, der hannoversche Verein für Mediation und Konfliktschlichtung. Als Vereinsvorsitzender begrüßte Professor Thomas Trenczek den Gast im „heimischen Wohnzimmer“, denn Christian Pfeiffer hatte 1992 zu den sieben Gründungsmitgliedern der Waage gehört.

Sein Vortragsthema „Die Gewalt in der Familie – Wege aus der Gewaltspirale

Auswirkungen, Entwicklungstrends und Perspektiven“ untermauerte Pfeiffer mit beeindruckenden Zahlen: Zwischen 1992 und 2011 sei ein Rückgang häuslicher Gewalt um fast die Hälfte zu beobachten. 95 Prozent der Täter seien nach wie vor Männer. „Schwere Gewalt ist eindeutig männliche Gewalt“, fasste Pfeiffer zusammen. Entgegen diesem Trend habe allerdings die außerfamiliäre Gewalt nicht im gleichen Maße ab- (und insofern relativ zu-)genommen, der starke Rückgang innerfamiliärer Gewalt sei aber Hauptursache der seit Jahren anhaltenden Tendenz zum Rückgang der Gewaltkriminalität insgesamt. Als Gründe für den Rückgang der häuslichen Gewalt sieht der Professor die 1998 erfolgte Einführung des Straftatbestandes Gewalt in der Ehe sowie das im Jahr 2000 beschlossene Gesetz zum Verbot elterlicher Züchtigung. Die gesellschaftlichen und parlamentarischen Diskussionen rund um das Thema elterliche Gewalt seien ein wichtiger Motor der veränderten Einstellung zum Thema familiäre Gewalt gewesen, blickte Pfeiffer zurück.

Unter dem Motto „Jugend 2017, die beste, die wir je hatten“ präsentierte der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) optimistisch stimmende Befunde. Allgemeine sowie Gewalt an Schulen, Alkoholmissbrauch, Suizidgefährdung, Schulabbrechen, in allen Problembereichen sei ein Rückgang zu verzeichnen, am stärksten in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen, schwächer werdend in den dann folgenden Altersgruppen 18 bis 20 Jahre, 21 bis 30 Jahre und darüber hinaus. Wie sei diese erfreuliche Entwicklung zu erklären? Für Christian Pfeiffer ist es eindeutig: Die Jüngsten profitieren am stärksten von einem Wandel der Erziehungskultur, der in den siebziger Jahren begonnen habe und sich mit den Worten „Weniger Hiebe, mehr Liebe“ zusammenfassen lasse. Auch dazu verwies der Kriminologe auf eigene Untersuchungen. Mittels diverser Befragungen hatte er die Kindheiten der vergangenen 70 Jahre erforscht. Durchgehendes Ergebnis: Je mehr Liebe und je weniger Schläge und Gewalt Kinder und Jugendliche von ihren Eltern erhalten haben, desto besser schneiden sie später im Hinblick auf verschiedene Einstellungen und Verhaltensweisen ab. Pfeiffer nannte als Beispiele Lebensfreude, Vertrauen, Selbstbewusstsein, geringe Suizid- und Gewaltneigung oder die Bereitschaft zu sozialem Engagement.

Neben der elterlichen Erziehung seien aber auch weitere Faktoren ausschlaggebend: So sei die Jugendarbeitslosigkeit seit rund zehn Jahren stark gesunken, an den Schulen habe sich eine Kultur des Hinschauens und des Bemühens um gewaltfreie Lösungen von Konflikten entwickelt. Die Bildungsintegration junger Migranten sei verbessert worden, nicht zuletzt durch bundesweite zivilgesellschaftliche Mentorenprogramme. Doch neben diesen positiven Trends gebe es auch besorgniserregende Entwicklungen. Die im Hinblick auf Gewalt problematischste Gruppe in der Gesellschaft sei die der „jungen Kerle“, sagte Pfeiffer, der auch von 2000 bis 2003 für die SPD niedersächsischer Justizminister gewesen war. Und diese Gruppe sei im Zuge der Flüchtlingswelle größer geworden. „Hier fehlen die Mütter, Schwestern und Freundinnen“, betonte er, denn „Frauen sind immer ein Friedensfaktor“. Deshalb bedeute „Familiennachzug für Flüchtlinge Befriedung“ und mehr innere Sicherheit.

Die Gesellschaft stehe vor einer gewaltigen Integrationsaufgabe, hier müsse Deutschland beispielsweise von Kanada lernen, das über ein hervorragendes und äußerst erfolgreiches Integrationsprogramm für Einwanderer verfüge. Pfeiffer warnte nachdrücklich vor einer Ghettoisierung von Migranten in Wohnvierteln, vor einer Radikalisierung junger Muslime und sprach in diesem Zusammenhang von einer „Erdoganisierung der Ditib- aber auch Schura-Moscheen“. Der Staat müsse die liberalen muslimischen Kräfte unterstützen, forderte der Kriminologe, diese bräuchten Geld und müssten sich organisieren können.

In der engagiert geführten Diskussion mit den knapp 50 Zuhörern betonte er die Wichtigkeit des Dialogs zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Bürgern. Scharf kritisierte er den Religionsunterricht an den Schulen, den er lieber durch das Fach „Werte und Normen“ ersetzt sähe. Religion sei „kein Liebesfaktor“, an den Schulen müsse statt über die „Erbsünde“ und anderen „dogmatischen Firlefanz der Religionen“ gelehrt werden, „wie wir gut und richtig leben können“. Dazu gehörten Themen wie Toleranz oder Konfliktlösung ohne Gewalt. In diesem Zusammenhang verwies er auch noch einmal auf die bundesweit vorbildliche und noch viel zu wenig bekannte Arbeit der Waage Hannover, die sich friedensstiftend für Familien auswirke. Professor Trenczek verwies auf die erfolgreiche Beratungs- und Vermittlungsarbeit der Waage insbesondere in eskalierten Eltern- und Familienkonflikten und äußerte die Hoffnung, dass die Waage mit ihrer Arbeit zu dem von Pfeiffer dargestellten positiven Trend der abnehmenden Gewalt weiter beitragen könne.

Wie auch einige Zuhörerinnen und Zuhörer bedauerte Pfeiffer, dass durch die an „Sex and Crime“ orientierte Berichterstattung in den Medien in der Bevölkerung der Eindruck erweckt werde, Kriminalität und Bedrohung nähmen ständig zu. Hier hätten sich die öffentlich-rechtlichen Sender zunehmend den Privaten angepasst.

Eindringlich wies Pfeiffer angesichts der sich ständig weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich auf die Schlüsselrolle der Bildung hin. „Unsere Schulen müssen es schaffen, allen Kindern Chancengleichheit zu bieten.“ Und sie müssten den Kindern „Lust auf Leben machen“. Dieser Aufgabe könne nur ein Bundesbildungsministerium gerecht werden, forderte der Professor, der als gesellschaftliche Leitlinien der Zukunft formulierte, mit Einwanderern in Dialog zu kommen, die Armut von Kindern zu bekämpfen und die Schulen extrem zu stärken und mit den Worten schloss: „Bildung ist der Rettungsanker.“
„Salonfestival“-Organisatorin Désirée Behrendt hob die „schöne, persönliche Atmosphäre in der Waage Hannover“ als eine fördernde Bedingung für den Austausch zwischen Menschen hervor und betonte, dass dazu „so engagierte Gastgeber wie die Waage nötig seien“. So nutzten die Gäste auch die Gelegenheit, mit den Waage-Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen, die Räumlichkeiten und die Arbeit des Vereins kennenzulernen und mehr als eine Kostprobe von dem ausgesuchten Büffet zu nehmen.

Sabine Dörfel, Hannover