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Fallbeispiele der Mediationsstelle

Fallbeispiel 1:
Konflikt zwischen einer Lehrerin und der Mutter eines Schülers

Frau Zumdick (Namen geändert) wirft der Lehrerin Frau Walter vor, ihren Sohn falsch zu behandeln und dadurch zu entmutigen. Bei einem Elternsprechtag ist es zu Beleidigungen und massiven Vorwürfen durch Frau Zumdick gekommen. Eine Beratungslehrerin regte den Versuch einer Mediation bei der Waage an.

1. Informationsgespräche mit Frau Zumdick, Frau Walter sowie einer Beratungslehrerin:

Der Mediator bietet unverbindliche Informationsgespräche an, erläutert die Grundprinzipien der Mediation, die Rahmenbedingungen und seine Rolle. Die Beratungslehrerin teilt mit, dass die Kosten vom Förderverein der Schule übernommen werden. Die Beteiligten stimmen einer Mediation zu. Besonders brisant ist die Frage der Vertraulichkeit. Frau Zumdick befürchtet zunächst, dass die Sache „unter den Tisch gekehrt“ werden soll. Die Beteiligten einigen sich darauf, dass keinerlei andere Schritte während des Mediationsversuchs unternommen werden, dass bei einem Scheitern jedoch die Schulleitung bzw. der Elternbeirat eingeschaltet werden. Der Mediator erklärt, dass er keinerlei Einschätzung oder Bewertung abgeben wird. Die Frauen wollen bereits beginnen, ihre Sichtweise zu erläutern. Der Mediator bittet sie, dies auf die Mediationssitzung zu verschieben. Sie vereinbaren ein Gespräch zwei Tage später. Die Beratungslehrerin wird an diesem Gespräch nicht teilnehmen.

2. Mediation (mit Frau Zumdick und Frau Walter):

Der Mediator beginnt das Gespräch erst, als auch die verspätete Frau Zumdick eintrifft. Er erläutert die Rahmenbedingungen, bedankt sich für die Bereitschaft, bietet die Möglichkeit einer Pause und bei Bedarf auch separater Einzelgespräche an. Frau Zumdick möchte beginnen, ihre Sichtweise zu schildern. Frau Walter ist einverstanden.

Frau Zumdick berichtet aufgeregt, wie schlecht es ihrem Sohn (14) gehe und wie sehr sich seine Schulleistungen im letzten Jahr verschlechtert hätten. Er ziehe sich immer mehr zurück. Sie hält ihn für intelligent und führt seine Probleme darauf zurück, dass Frau Walter mit seiner „bockigen Art“ nicht umgehen könne. Sie fühlt sich von ihr nicht ernst genommen, weil Frau Walter ihr gesagt habe, der Sohn solle weniger am Computer spielen und stattdessen seine Hausaufgaben machen. Der Mediator fasst das Gesagte zusammen. Frau Walter spricht ruhig und freundlich, bemüht sich trotz der Angriffe um eine professionelle Distanz. Sie schildert die Situation innerhalb der Klasse, ihre Versuche, an Frau Zumdicks Sohn heranzukommen und seine Abwehrreaktionen. Die Eskalation beim Elternsprechtag täte ihr leid, sie sei aber auch nicht bereit, sich für jedes psychisches Problem eines Schülers verantwortlich zu machen. Auch ihre Schilderung fasst der Mediator zusammen.

Dann sammelt er mit den Frauen die Themen, über die sie im Rahmen dieser Mediation sprechen möchten und schreibt diese auf Karten: Widerstand, Mutterrolle, Lehrerinnen-Rolle, Suizid, Wertschätzung, Kommunikation. Die Karten dienen im weiteren Gespräch als Agenda. Frau Zumdick berichtet weinend von ihrer Angst, dass ihr Sohn sich umbringt. Sie erzählt von seinen Andeutungen. Frau Walter ist sichtlich bewegt und berichtet, dass sie den Jungen ganz anders, nämlich selbstbewusst und störrisch erlebt. Die beiden Frauen reden nun direkt miteinander. Der Mediator beschränkt sich darauf, geäußerte Gefühle und Bedürfnisse zu wiederholen. Das Gespräch entwickelt sich sehr konstruktiv. Die Frauen sprechen über ihre Rollen als Mutter bzw. Lehrerin und berichten offen von ihren Ängsten („Kann ich mich als alleinerziehende Mutter ausreichend um meinen Sohn kümmern?“ – „Wie kann ich als Lehrerin so vielen Jugendlichen gleichzeitig gerecht werden?“). Die Themen werden auf ehrliche und wertschätzende Weise von den Frauen besprochen. Beide entschuldigen sich für schroffe Reaktionen.

Der Mediator fragt, ob die Beteiligten das Gefühl haben, dass die Hintergründe ausreichend erörtert sind und nun Lösungsmöglichkeiten besprochen werden sollen. Beide stimmen zu. Ausgehend von den zu Beginn aufgeschriebenen Themen werden Ideen gesammelt und diskutiert: ärztliche / psychologische Diagnose wegen möglicher Depression; Versetzung in andere Klasse (Gruppendynamik?); Förderung von Freizeitaktivitäten des Sohnes, um ihm Erfolgserlebnisse zu verschaffen; Angebot: Teilnahme an Computer-AG; regelmäßiger Austausch; „Entdramatisierung“. Der Mediator sorgt durch entsprechende Nachfragen dafür, dass die Ergebnisse konkret formuliert werden. Abschließend fasst er das Gespräch zusammen und fragt die Beteiligten, wie es ihnen nun geht. Beide äußern eine Erleichterung und die Überraschung darüber, sich von der anderen gut verstanden zu fühlen. Die Frauen vereinbaren, in einer Woche miteinander zu telefonieren und sich nach 4 Wochen erneut bei der Waage zu treffen.

Fallbeispiel 2:
Familienmediation – getrennte Eltern

In einem Vergleich vor dem Familiengericht haben die Eltern sich darauf verständigt, dass eine Mediation in Anspruch genommen werden soll. Frau Berger und Herr Strüber (alle Personen sind natürlich anonymisiert) wenden sich an die Waage Hannover. Die Eltern sind seit vielen Jahren getrennt, leben in neuen Beziehungen und der gemeinsame Sohn Nils, 12 Jahre alt, hat Halb- und Stiefgeschwister dazubekommen.
Frau Berger hat das alleinige Sorgerecht für Nils. Jedes zweite Wochenende verbringt Nils das Wochenende beim Vater, der auf der anderen Seite der Stadt wohnt.
Seit zwei Jahren äußert Nils seiner Mutter gegenüber, dass er seinen Vater nicht mehr so regelmäßig sehen möchte. Besuche unterbleiben und werden unregelmäßig und die Stimmung zwischen den Eltern verschlechtert sich massiv. Herr Strüber vermutet, dass Frau Berger die Besuche mit Absicht verhindert und Nils negativ beeinflusst. Frau Berger wirft Herrn Strüber vor, dass er gar nicht genau hinhöre, was sein Sohn sage. Herr Strüber sei ein schlechter Vater, da es ihm nur um seine Bedürfnisse ginge und nicht darum, was Nils wolle. Da Gespräche zwischen den Eltern nicht mehr möglich sind, erhöht Herr Strüber den Druck und strengt ein Verfahren zum Umgangsrecht vor Gericht an. Hier wird der Vergleich geschlossen.
Die ersten Gespräche erfolgen jeweils als Einzelgespräche. Hier haben die Eltern die Gelegenheit, die Mediatorin kennenzulernen, sich mit dem Ablauf der gemeinsamen Gespräche vertraut zu machen und vor allem von den Dingen zu berichten, die jeweils wichtig sind. Gemeinsam mit der Mediatorin wird darüber nachgedacht, welche Themen aktuell besprochen werden sollten.
Im ersten gemeinsamen Gespräch wird sehr schnell deutlich, dass für beide Eltern die Situation emotional sehr belastend ist. Es gibt große Sorgen, dass Nils sich weiter zurückzieht. Viele Vorwürfe werden geäußert, die deutlich machen, dass alte Verletzungen immer noch nachwirken. Die Mediation schafft durch eine festgelegte Struktur einen Rahmen, in denen diese Emotionen einen Platz haben. Es gibt aber auch Raum dafür, dass die Eltern nicht mehr nur auf sich, sondern auch auf Nils schauen. Sie denken gemeinsam darüber nach, wie Nils die „verfahrene Situation“ zwischen Eltern wohl erlebt und was er bräuchte, um zu beiden Eltern guten Kontakt zu haben.
Vier Wochen später berichten beide Eltern, dass sie viel über das Gespräch nachgedacht hätten. Beide wollten versuchen, sich dem anderen gegenüber besser verständlich zu machen: Warum regt mich das so auf? Warum bin ich eigentlich so sauer? Herr Strüber berichtet darüber, wie es ist, nur „Zaungast“ im Leben seines Sohnes zu sein, der den neuen, langjährigen Partner von Frau Berger „Papa“ nennt… Frau Berger hat das Gefühl, dass Herr Strüber sie als „Feindin“ betrachtet, die ihm nur Böses will… Ein erstes Ergebnis ist, dass die Eltern sich darüber verständigen, keinen weiteren Druck auf Nils auszuüben. Der Vater ist vorerst zufrieden, wenn er regelmäßig mit Nils telefonieren kann. Herr Stüber verspricht, Nils dabei nicht auf Besuche anzusprechen. Frau Berger sagt zu, das zu unterstützen. Beide werden versuchen im Beisein von Nils (auch am Telefon) Unfreundlichkeiten zu unterlassen.
Im nächsten Gespräch geht es zunächst wieder sehr emotional zu. Frau Berger ist erbost, dass sie Schreiben von der Anwältin von Herrn Stüber erhält, deren Inhalt sie als bedrohlich empfindet. Der Mediatorin gelingt es durch gezieltes Fragen die Situation zu beruhigen. Dabei hilft auch die Erinnerung an die zu Beginn von Herrn Stüber und Frau Berger festgelegten Gesprächsregeln. Ein Missverständnis lässt sich aufklären. Insgesamt haben beide Eltern das Gefühl, dass sich die emotionale Belastung verringert hat. Es ist gut, mit der Waage einen Ort zu haben, an dem strittige Fragen auf „neutralem Boden“ besprochen werden können.
Im 4. Gespräch teilt Frau Berger mit, dass Nils es positiv erwähnt habe, dass es weniger Streit zwischen den Eltern gäbe. Herr Strüber erklärt, dass er von weiteren rechtlichen Schritten absieht, was Frau Berger sehr erleichtert. Beide Eltern haben das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein. Verlorenes Vertrauen muss wiedergewonnen werden, das geht nur durch positive Erlebnisse. Beide Eltern haben in der Mediation gelernt, dass es hilfreich ist, sich im Gespräch „zu erklären“ und wie wichtig es ist, zuzuhören. Die Eltern verabreden ein Bilanzgespräch in drei Monaten, um getroffene Vereinbarungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Ansprechpartnerin/Koordinatorin:
Dorothee Wahner